Die Ausgewogenheit ist das Problem
Foto: Ben Gross
Meine Gedanken zum #Tatort "Die Amme"
(Die Amme, 2021, ARD-Tatortreihe, Mit Harald Krassnitzer, Adele Neuhauser, Hubert Kramar, Christina Scherrer u. a., Regie: Christopher Schier)
Zur besten Sendezeit zeigte die ARD gestern einen Tatort, in dem eine männlich gelesene Person sich Kleider anzog, Kinder entführte und deren Mütter umbrachte bzw. versuchte, umzubringen.
Für die mit Queerness ungeschulten Zuschauenden konnte der Eindruck entstehen, dass trans Frauen männlich gelesene Personen sind, die sich Kleider an ziehen, Kinder entführen und deren Mütter umbringen bzw. versuchen, diese umzubringen.
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass queere Charaktere gemessen an deren Vorkommen in der gesellschaftlichen Realität viel zu selten den Weg in die Drehbücher finden. Obwohl genau das Auftrag laut den Medienstaatsverträgen ist. Die Darstellung der gesellschaftlichen Vielfalt und Realität.
Wenn aber nun, wie bereits mehrfach durch Studien belegt, eine Unterrepräsentation stattfindet, verfestigt sich der Eindruck, dass es nicht möglich ist, die Vielfalt an möglichen Rollen und Akteur:innen darzustellen. Das liegt in der Natur der Sache. Aufgrund eines Mangels wird nur ein Ausschnitt sichtbar.
Es entsteht eine Darstellung von Stereotypen, die für die Betroffenen schnell gefährlich werden kann. Ein PoC, der mit Drogen dealt; eine trans Frau, die Kinder entführt; eine Lesbe*, die Männer ermordet. Das führt zu einer Verfestigung von vorhandenen Vorurteilen bis hin zu gewaltsamen Übergriffen den Betroffenen gegenüber.
Was zu tun ist? Es braucht eine häufigere Darstellung von Queers, PoC, Menschen mit Behinderung etc. Nur so ist es möglich, diese Ausschnitte, welche oft mit der Darstellung von Stereotypen ver-bunden sind, zu erweitern und eine Ausgewogenheit herzustellen. Diese Ausgewogenheit kann nämlich dann auch bedeuten, dass Stereotype dargestellt werden können aber daneben gleichbe-rechtigt genauso andere Bilder gezeigt werden, die zu einer Normalisierung des Besonderen führen. Ja, eine Lesbe kann dann eine Mörderin sein, aber ebenso Kommissarin* und ebenso Opfer eines Femizides.
Solange genau diese Vielfalt und Realitätsdarstellung nicht gewährleistet wird, passiert genau das, was gester n im Tatort erschreckend sichtbar wurde. Stereotypisierung, Vorurteilsverfestigung und eben kein Aufbrechen von Ressentiments, die Gruppen aus unser er Gesellschaft noch zugeschrieben werden. Und genau dieses Aufbrechen ist genau und besonders Aufgabe des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks. Ausgewogenheit, Vielfalt und Realitätsdarstellung. Und zwar in der Gänze des Programms!
Kommentar:
Jenny Luca Renner
ZDF-Fernsehrät*in