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Homosexuelle im Konzentrationslager Sachsenhausen

(A.Zinn) Das Konzentrationslager Sachsenhausen wurde 1936 eingerichtet. Bis 1945 waren hier vorsichtigen Schätzungen zufolge zwischen 1000 und 1200 homosexuelle Männer inhaftiert. Nach einem Bericht des ehemaligen politischen Häftlings Emil Büge wurden allein in den Jahren 1940 bis 1943 rund 600 Rosa-Winkel-Häftlinge ermordet. 314 in Sachsenhausen ermordete Homosexuelle sind uns bis heute namentlich bekannt.

Opferzahlen zu nennen ist gerade bei den Rosa-Winkel-Häftlingen sehr schwierig, denn ihre Verfolgungsgeschichte war über Jahrzehnte tabuisiert. Bis 1990 war die Situation der Homosexuellen für die Gedenkstätte Sachsenhausen kein Thema. Was wir inzwischen wissen, ist der oftmals ehrenamtlichen Arbeit meist schwuler Historiker in den vergangenen 15 Jahren zu verdanken. Allen voran ist hier Joachim Müller zu nennen, der erste Vertreter für die Opfergruppe der Homosexuellen im Beirat der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten.

Die Situation der Homosexuellen in den Jahren 1939 bis 1942

Vermutlich ab dem Frühjahr 1939 wurden Homosexuelle grundsätzlich in die Isolierung eingewiesen. Dabei handelte es sich um vier bis sechs Häftlingsbaracken, die vom restlichen Lager mit einem Zaun abgetrennt waren. Neben Homosexuellen wurden hier u.a. auch so genannte „Bibelforscher", also Zeugen Jehovas gefangen gehalten. „Die Isolierung und im besonderen Maße die Strafkompanie waren in erster Linie zur Vernichtung von Häftlingen bestimmt", so die Feststellung des Landgerichts Köln im Sachenhausen-Prozess 1964.

Hintergrund der Isolierung der Homosexuellen war der Versuch der Lagerleitung, die Verbreitung der „Seuche" Homosexualität im restlichen Lager zu bannen, wie es der damalige Schutzhaftlagerführer und spätere Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß erklärte. Hintergrund waren die sogenannten „Sachsenhausen-Prozesse". So hatten sich seit Ende 1938 zahlreiche Gefangene homosexueller Vergehen nach § 175 bezichtigt, in der Hoffnung, in Untersuchungshaft überstellt zu werden und auf diese Weise dem Terror im Konzentrationslager zu entkommen. Insgesamt 45 Häftlinge waren daraufhin wg.- Vergehen nach § 175 angeklagt worden. Die Hoffnung, dem Lager auf diesem Wege zu entkommen, erfüllte sich für die meisten allerdings nicht. Erst zum Prozessauftakt wurden sie den Justizbehörden überstellt und landeten nach Verbüßung ihrer Strafe wieder im Konzentrationslager.

Der SS-Terror in der Isolierung ist ganz besonders grausam. Die Blockführer der SS, oft aber auch die Blockältesten, bei denen es sich um Häftlinge handelt, erproben immer neue Quälereinen und Folterpraktiken. Tagsüber werden die Gefangenen u.a. in der Strafkompanie Schuhläufer geschunden. Elf Stunden müssen sie über eine Prüfstrecke aus Kies, Sand, Schlamm und Kopfsteinpflaster marschieren, um im Auftrag des Reichswirtschaftministeriums Schuhe, Socken und andere Kleidungsstücke auf ihre Haltbarkeit zu überprüfen. Oder sie müssen den ganzen Tag im sogenannten „Stehkommando" strammstehen. Prügel hagelt für jede noch so geringfügigen Verstoß gegen die „Lagerordnung". Oberscharführer Ficker lässt die Häftlinge längere Zeit in der Kniebeuge sitzen und verbrennt ihnen dabei mit eine Zigarette Nase, Stirn oder Bart. Oberscharführer Knittler legt die Häftlinge über einen Tisch, traktiert sie mit Knüppel und Peitsche und lässt sie die Hiebe zählen.

Die Überlebenschancen in der Isolierung sind gering. Als ein Häftling im Mai 1941 im Stehkommando hinter Block 35 vor Erschöpfung zusammenbricht, wird er auf Anweisung des SS-Mannes Otto Kaiser in den Duschraum getragen und mit kaltem Wasser traktiert. „Da soll sich das schwule Schwein wieder erholen", kommentiert Kaiser den Vorgang. Nach dem Mittagessen liegt der Häftling immer noch unter der kalten Dusche, er ist inzwischen tot. „Abspritzen" mit kaltem Wasser ist eine beliebt Mordmethode. Stundenlang wird mit einem Wasserstahl auf die Herz- und Nierengegend gezielt. Auf dem Totenschein steht dann „Herzkollaps" oder „Herz- und Kreislaufversagen".

Besonders perfide sind die angekündigten Morde. Wenn der Blockführer beim Appell sagt: „Dieses Schwein möchte ich morgen nicht mehr sehen", ist das das Todesurteil. Die Blockältesten morden mitunter aber auch aus eignem Antrieb. Opfer eines solchen Mordes wird im Juli 1940 der homosexuelle Sänger und Kabarettist Paul O'Montis. Aus einer eidesstattlichen Erklärung des ehemaligen politischen Häftlings Robert Brink wissen wir, was Paul O'Montis erleben musste:

„Im Block 35 befanden sich die Homosexuellen. [...] Der Blockälteste [...] mordete dauernd Leute in seinem Block. Weder die Lagerleitung noch die SS in der Isolierung boten diesem Treiben Einhalt. Mir als Lagerältestem der Isolierung war es von dem Leiter der Isolierung, Bugdalle, wie auch von den SS-Leuten Knittler und Ficker wiederholt streng untersagt worden, mich um diese Angelegenheiten zu kümmern. Eines Sonntagnachmittags kam der bekannte Vortragskünstler, genannt Paul Remontes, zu mir und bat mich um meinen Schutz, da ihm von Seiten des Blockältesten Ruppel angedroht worden war, er würde in der kommenden Nacht erledigt werden. Ich besprach die Sache mit meinem Vertrauten und Stubenältesten Paul Bonnemann. Bis in die Nacht haben wir beide heimlich zusammengesessen und beratschlagt, wie dem Burschen sein mörderisches Handwerk gelegt werden könne. Das Ergebnis war folgendes: Unter eigener Lebensgefahr ging ich am nächsten Tag, durch den in der Nacht tatsächlich erfolgten Mord an Paul Remontes erbittert und ermutigt, zu Bugdalle hin".

Robert Brink gelang es tatsächlich, die Ablösung Ruppels zu erreichen. Für Paul O'Montis jedoch war dies keine Hilfe mehr. Und das Morden fand auch nach der Ablösung Ruppels kein Ende. Im Gegenteil: Zwei Jahre später, im Sommer 1942, erreichte es erst seinen Höhepunkt. Nachdem die Rosa-Winkel-Häftlinge von der Isolierung ins Außenlager Klinkerwerk verlegt worden waren, wurden von Juli bis September 1942 mindestens 200 schwule Männer ermordet. 89 der Ermordeten sind uns heute namentlich bekannt. Vergleiche dazu auch die Rubrik Außenlager Klinkerwerk.

Die Isolierung seit 1939, die Strafkommandos und die gezielte Mordaktion vom Sommer 1942 überlebten nur wenige Homosexuelle des Konzentrationslagers Sachsenhausen. Die meisten überstanden den täglichen Terror nicht lange - zwischen Einlieferungs- und Todesdatum liegen in der Regel nur wenige Tage oder Wochen. Für Rosa-Winkel-Häftlinge war Sachsenhausen im fraglichen Zeitraum faktisch ein Vernichtungslager. Erst ab dem Jahr 1943 verbesserte sich die Situation für sie. Der Krieg erforderte eine „effektivere" Nutzung der Arbeitskraft aller Häftlinge, weshalb die Haft- und Arbeitsbedingungen ab Mitte 1943 erleichtert wurden. Davon profitierten auch die Homosexuellen.

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